Zu Beginn möchte ich betonen, dass zu einer wirkungsvollen Massage immer solide Kenntnisse der Anatomie gehören. Nun kann und möchte nicht jede(r) PferdebesitzerIn sich stundenlang mit Anatomie beschäftigen. Es ist dennoch ratsam, sich alle Anwendungstechniken immer von einem Pferdetherapeuten genau zeigen zu lassen. Lesen allein reicht nicht.
Aktive Stresspunkte sind Areale, die bei Druck Schmerzen auslösen. Die Pferde zeigen dies durch Ausweichen, Hautzittern oder heftigeren Abwehrreaktionen. Es ist wichtig unterhalb der individuellen Schmerzgrenze zu bleiben, denn Muskeln können nur entspannen, wenn sich das Pferd vertrauensvoll mental entspannen kann. Auch diesbezüglich lohnt sich eine Einweisung deines Therapeuten.
Warum es sinnvoll ist, die Muskulatur seines Pferdes besser zu verstehen und im Blick und Gefühl zu haben, erklärt sich, wenn man sich veranschaulicht, dass jeder Muskel über seine Sehne am Knochen anhaftet. Ein verspannter Muskel hält die Sehne unter ständiger Spannung, selbst wenn das Pferd sich in Ruhe befindet. Ein ganzheitlicher Blick auf das Muskel- Sehnen-System ist entscheidend, um Verletzungen nachhaltig zu verhindern. Statt nur die Sehne als „Schwachstelle“ zu betrachten, sollte die Muskelspannung reguliert werden, um die Belastung auf die Sehne zu reduzieren.
Desweiteren ist wichtig zu wissen, dass Muskeln arbeiten, in dem sie sich zusammenziehen (kontrahieren). Bewegung entsteht, in dem sie die Gelenkstellung verändern. Jeder Muskel hat einen Partner. Einer, der das Gelenk durch sein Zusammenziehen zum Beispiel beugt und der andere Muskel, der durch sein Entspannen, seine Dehnbereitschaft, diese Beugung erlaubt, ohne dabei komplett nachzugeben, denn sonst würde abnorme Bewegung im Gelenk entstehen. Das weiß der Körper zu verhindern, in dem er zum Schutz verspannt, die sogenannnte Schutzspannung.
Ist einer dieser Muskeln verspannt, so kann er sich weder optimal zusammenziehen noch sich dehnen. Obendrein wird die Normalnullstellung des Gelenks verändert. Dies führt langfristig zu Verschleiß. Würde man nun das Gelenk wie es umgangssprachlich (übrigens völlig missverständlich) heisst „einrenken“, würde das an der verspannten Muskulatur nichts ändern, im Gegenteil.
250 paarige und unpaarige Muskeln lassen sich unterscheiden. Man kann sich denken, wieviel Einfluß diese auf die Gelenkstellungen haben. Es lohnt sich also, sich mit der Muskulatur näher zu beschäftigen.
Bevor ich im nächsten Beitrag einzelne Stresspunkte näher beschreibe, möchte ich euch vergegenwärtigen, wie wichtig es zum einen ist, das Gefühl eurer Hände zu schulen und zum anderen wie wichtig euer eigenes Mindset beim Anwenden jedweder manuellen Technik ist.
Damit ein Pferd, das als Fluchttier sowieso schon immer eine erhöhte vegetative Alarmbereitschaft hat, entspannen kann, ist es wichtig, dass wir bei allem, was wir mit unseren Händen am Pferd machen mit wenig Druck starten. Sowohl physisch als auch psychisch.
Bevor du als erstes auf der Suche nach schmerzhaften, also aktiven Stresspunkten bist, beginne, dein Pferd mit den Händen kennenzulernen. Fahre mit flachen, entspannten Händen den gesamten Pferdekörper ab. Erforsche, wie sich das Fell anfühlt, die Temperatur, erfühle ob deine Hände gleiten können oder irgendwo „verhaken“, vergleiche dabei die rechte und linke Körperhälfte. Achte stets auf die Reaktionen deines Pferdes. Habe keine Erwartenshaltung und beobachte auch deine eigene Körperspannung, Haltung und Atmung.
Es hilft mit der Einstellung ans Pferd zu gehen „alles darf, nichts muss“.
Deine Hände schulst du am besten, wenn du auch mal andere Pferde abstreichen kannst. Mit der Zeit verbessert sich dein Gefühl für das Gewebe, aber auch dein Blick für Auffälligkeiten.
So harmlos, diese Übung daherkommen mag, sie ist die Basis für alles weitere.
Herzlichst Jeannette
Bild: S.20 Stresspunktmassage nach Jack Meagher von Claus Teslau, das ich jedem Pferdemenschen nur ans Herz legen kann.