Abschnitt in leicht gekürzter Form:
“Bewegungsmöglichkeit und Bewegungsanreiz
Pferde sind Lauftiere. Damit ist auch klar, dass dieses Bedürfnis über alle Grenzen von Rasse und Reitweise hinaus gilt. Wie es konkret aussieht, lässt sich bei Wildpferden ebenso beobachten wie bei unter naturnahen Bedingungen gehaltenen Hauspferden: Es dominiert die langsame Fortbewegung im Schritt, über Stunden geknüpft an die Nahrungsaufnahme. Hinzu kommen Trab und Galopp, etwa im Rahmen von Ortswechseln über längere Strecken zum Aufsuchen weiterer Ressourcen, bei der Flucht oder beim Spiel oder anderen sozlalen Interaktionen. Das summiert sich auf etwa 16 Stunden Bewegung am Tag bei sehr unterschiedlichen Gesamtstrecken, vor allem in Abhängigkeit vom Futterangebot oder der Entfernung zu Wasserstellen.
Liegt alles in geringer Entfernung voneinander, kommen kaum mehr als zwei Kilometer täglich zusammen, bei magerem Aufwuchs und/ oder großen Entfernungen zwischen Futterangebot und Wasserquelle werden bis zu 16 Kilometer am Tag beobachtet.
Es wird deutlich: In der Obhut des Menschen sehen tägliche Dauer und Art der Fortbewegung sowie die zurückgelegte Strecke oft ganz anders aus als von Mutter Natur vorgesehen.
Betrachtet werden müssen Training und Haltungsform. Ist das Training wichtigste oder gar einzige Bewegungsform, fehlt es vor allem an stundenlanger, ruhiger Bewegung im Schritt – also genau an dem Bewegungselement, das eigentlich vorrangig sein sollte. Damit die Haltung dieses Defizit zumindest teilweise auffangen kann, müssen Bewegungsmöglichkeit und Bewegungsanreiz vorhanden sein.
Wieso beides wichtig ist, zeigt ein einfacher Vergleich etwa einer Weidehaltung mit der Haltung auf einem gleichgroßen Paddock ebenso deutlich auf wie ein Vergleich zwischen der gemeinschaftlichen oder der Einzelhaltung auf einem bestimmten Areal. Damit Bewegung stattfindet, braucht es nicht nur Raum, sondern auch Motivation – etwa die Futtersuche oder das soziale Spiel. Zwar werden viele Islandpferde traditionell in Gruppenauslaufhaltung aufgestallt und im Sommer auf die Weide entlassen und haben damit sowohl genugend Platz als auch Anreiz, sich selbstständig zu bewegen, allerdings hat sich für manche Pferdegruppen auch im Islandpferdebereich die Haltung in (Paddock-)Boxen etabliert. Bei einer Kombination aus Box und Kleinstauslauf gehen viele Pferdehalter davon aus, dass sich das Pferd doch genügend bewegen kann, wenn es möchte, doch das täuscht.
Der Platz reicht nicht aus, der Anreiz fehlt vollkommen – so aufgestallte Pferde stehen sich im Endeffekt nur auf einer etwas größeren Fläche die Beine in den Bauch. Deshalb gelten diese Paddocks in Boxengröße auch nicht als Auslauf im eigentlichen Wortsinn.
Man muss also davon ausgehen, dass bei zahlreichen Islandpferden ein Bewegungsdefizit vor allem bezüglich der ruhigen, schreitenden Vorwärtsbewegung vorliegt, das anderweitig aufgefangen werden sollte…”